Montag, 12. April 2010

Jimmy Hartwig - Ein Kämpfer mit vielen Talenten

 Foto: Jimmy Hartwig als Trainer/Wolfgang Kluge/ Deutsches Bundesarchiv/Creative Commons Attribution ShareAlike Lizenz 3.0/Wikimedia Commons

Sein Leben als aktiver Fußballer und deutscher Nationalspieler liegt schon lange hinter ihm, aber bis heute spürt Jimmy Hartwig Leidenschaft für diesen Sport, der ihm einst den Weg bahnte: heraus aus der Sozialsiedlung und hinein in ein Leben als gefeierter Sportstar und Millionär. Mit Peter von Becker hat er für den Tagesspiegel ein langes und intensives Gespräch geführt über sein bewegtes Leben:

Sonntagsinterview: "Ich bin ein Kämpfer geblieben"
Interview: Peter von Becker / Der Tagesspiegel 

"....Sie sind gerade für den DFB nach Kapstadt gereist und haben in einer südafrikanischen Township mit Kids von der Straße einen Fußballworkshop gemacht.

Moment mal: Ich bin auf eigene Kosten gereist, und das Ganze ist eine Initiative des privaten Projekts „Auf Ballhöhe“, das seit Jahren Jugendarbeit in Südafrika betreibt. Daran ist der DFB nur als Förderer beteiligt.

Der superreiche DFB hat für diese Aktion kurz vor der WM in Südafrika nichts bezahlt?

Nicht für mich. Doch mir war es das wert. Ich habe zwei Wochen mit Jungs trainiert, die nach Anerkennung lechzen, die aus ihrer materiellen Misere herauswollen und dafür kämpfen, ohne zu klagen. Sie lachen und tanzen und geben den Glauben an die Zukunft nicht auf. Das ist kein Kitsch. Manchmal habe ich an die Lowald-Siedlung in Offenbach zurückdenken müssen, wo ich aufwuchs. Das ist meine Township gewesen.

War das Ihr stärkster Eindruck?

Nein, das war der Besuch auf Robben Island in der ehemaligen Gefängniszelle von Nelson Mandela. Ein Tisch, ein Stuhl, eine fünf Zentimeter dicke Filzmatte zum Schlafen, daneben ein roter Blecheimer für die Notdurft. Da hat Mandela 27 Jahre gelebt und ist am Ende rausgekommen und hat statt Hass und Gewalt Versöhnung und Nächstenliebe gelehrt. Ich durfte mich ausnahmsweise auf seine Schlafmatte legen. Da bekam ich eine Gänsehaut. Früher habe ich mich für meine Hautfarbe geschämt, seit diesem Erlebnis bin ich stolz darauf...


....Nach dem Stürmer Erwin Kostedde waren Sie Anfang der 80er Jahre der einzige farbige deutsche Nationalspieler. Und nach Ihnen kam lange Zeit keiner mehr.

Wenn jetzt ein dunkelhäutiger Rapper – auch einer mit großer Klappe – zum Bestsellerautor wird und sein Leben verfilmt kriegt, dann ist das für mich wie eine andere Welt. Ich bin knapp zehn Jahre nach dem Krieg geboren, da war noch die ganze Nazizeit in den Köpfen drin. „Beim Adolf hätte es das nicht gegeben, dass hier ein Neger bei uns rumläuft!“, das habe ich als Schulkind tagtäglich gehört.

Auch beim Fußball?

„Du Negerschwein“, das hörte ich auch auf dem Platz. Aber mein erster Jugendtrainer bei den Offenbacher Kickers hat mein Talent sofort erkannt. Er hat mich auch gegen alle Anzüglichkeiten verteidigt. Später, beim VfL Osnabrück, bei 1860 München, beim HSV und dem 1. FC Köln, habe ich mich mit meiner großen Fresse zu verteidigen versucht. Damit macht man sich wenig Freunde. Und je höher du steigst, desto mehr Leute freuen sich über deinen Absturz.

Noch im WM-Endspiel 2006 hat eine Schmähung den Weltstar Zidane zum Ausrasten gebracht. Und Lothar Matthäus war als Bayern-Spieler bekannt für seine Bemerkungen über die Genitalien schwarzer Fußballer. Wie viel Rassismus gibt es unter den Spielern?

Der Lothar war ein herausragender Spieler; ich war mal sein Kapitän in der B-Nationalmannschaft, bevor seine große Karriere begann. Er tut mir ein bisschen leid, weil er noch immer die jungen Dinger flachlegen muss, aber weiter will ich ihn nicht kommentieren. Manche haben halt weniger in der Birne als in den Beinen. Aber gegen einen wie mich gab es Vorurteile auf allen Ebenen....

...Warum haben Sie eigentlich nur zwei A-Länderspiele gemacht?

Zu Zeiten meiner Hochform in den 80er Jahren war ich einer der besten defensiven Mittelfeldspieler Europas. In der Bundesliga hat sonst keiner auf meiner Position auch noch bis zu 14 Tore pro Saison geschossen. Einmal habe ich mir da ein Herz gefasst und im Flugzeug den damaligen DFB-Trainer Jupp Derwall angesprochen: „Herr Derwall, ich glaube, ich gehöre in die Nationalmannschaft.“ Der Derwall hat auf meiner Position immer einen der blonden Förster-Brüder als Stammspieler aufgestellt. „Hartwig“, war seine Antwort, „bei mir bist du nicht erste Wahl.“ Ohne Begründung, die brauchte es auch nicht.

Lag das nur an Jupp Derwall?

Nein. Noch ein Erlebnis: Als ich in Irland und Island meine beiden A-Länderspiele gemacht habe und wir in Frankfurt mit der Nationalmannschaft gelandet sind, begrüßte uns DFB-Präsident Hermann Neuberger. Wir standen in einer Reihe, und direkt vor mir hat Neuberger den Sepp Maier und den Bernd Cullmann umarmt und dann direkt nach mir dem Bernd Schuster herzlich die Hand geschüttelt. Ich stand dazwischen und war Luft für ihn.

So ein Affront würde heute zum Skandal.

Natürlich. Aber eine Gegenfrage: Können Sie mir bis heute einen farbigen Spieler nennen, der es nicht nur im Club, sondern in der deutschen Nationalmannschaft zum Stammspieler oder gar Führungsspieler gebracht hätte?

Trotzdem, der DFB engagiert sich öffentlich gegen Rassismus in den Stadien und in der Gesellschaft. Könnte der Fußball auch sonst eine Botschafterfunktion haben für die soziale Integration von Migranten und Unterschichten?

Klar, dafür biete ich mich selber regelmäßig an. Ich weiß ja, wie es unten in der Gesellschaft aussieht, ich habe Abstürze erlebt, und ich mache jede Menge freiwillige Jugendarbeit, übrigens auch mit krebskranken Kindern. Nur, beim DFB hat das bisher kaum jemanden interessiert. Dort gibt es einen Herrn, der behauptet noch immer, der Jimmy Hartwig sei „eine verkrachte Existenz“....

...Herr Hartwig, wann waren Sie zum ersten Mal Millionär?

Mit 24. Da bin ich von 1860 München zum Hamburger SV gekommen. Plötzlich sah ich die Eins mit den vielen Nullen dahinter auf meinem Konto, und auf einmal gab’s wahnsinnig viele Leute, die mir auf die Schulter geklopft haben. Das hatte mir vorher so sehr gefehlt: nicht nur Geld, sondern Anerkennung.

Sie sind in Offenbach 1954 als unehelicher Sohn eines schwarzen GIs geboren, Ihren Vater haben Sie nur ein Mal kurz gesehen und Ihre Mutter musste als Arbeiterin die Familie alleine durchbringen.

Meine Mutter wollte ihren farbigen Jungen immer beschützen, aber sie konnte mir so wenig Anerkennung verschaffen wie meine Umgebung. Dabei ist das für einen Heranwachsenden das Wichtigste.

Sie sollen trotzdem immer schon eine große Klappe gehabt haben.

Weil ich mir damit Anerkennung herbeireden wollte. Ich habe immer Respekt und Liebe gesucht. Deswegen sind auch drei Ehen kaputtgegangen: Es war gar nicht so sehr der Sex, den ich in den Armen von Frauen gesucht habe, sondern Geborgenheit. Das Gefühl, als Mensch angenommen zu sein, selbst wenn ich mir das nur eingebildet habe, weil ein Mädel aus der Disco bloß den berühmten Fußballer im Bett haben wollte. An einem Punkt hat die Illusion aber nicht mehr funktioniert: beim Geld, das ich durch die angeblichen Freunde mit ihren Bauherrenmodellen verloren habe. Plötzlich bist du als Aufsteiger von ganz unten um deinen Lohn gebracht, du hast das Gefühl, die haben dir wieder einen Teil deines Lebens geraubt..."


Aus redaktionellen Gründen haben wir das Interview gekürzt und teilweise etwas umgestellt. Bitte klicken Sie oben und lesen Sie das komplette, sehr interessante Gespräch über Jimmy Hartwigs Leben dort nach.
Hier noch weitere aktuelle Artikel über Hartwig:

Fußballer Jimmy Hartwig : "Die Nähe von Triumph und eins auf die ...  /ZEIT ONLINE

Comeback auf der Bühne: Jimmy Hartwig spielt sich selbst - Nachrichten Kultur - Theater - WELT ONLINE

Jimmy Hartwig | berliner filmfestivals

Monument aus Herz und Seele von Peter von Becker/ Der Tagesspiegel

"...Etwas Ähnliches wird er ihm damals auch im „Ciao“ gesagt haben. Womit die Begegnung normalerweise zu Ende gewesen wäre. „Aber jetzt“, fährt Thieme fort, „passierte etwas völlig Verrücktes. Ein Fremder am Tisch hinter Hartwig steht nun ebenfalls auf und ruft aus: ,Das ich das erleben darf!’ Es war ein Lottogewinner aus Dortmund, der sich gerade einen Partykeller in sein neues Haus gebaut hatte.“ Und dort spielte er immer Poolbillard, mit den Ex-Nationalkickern Jürgen Kohler und Andy Möller. „Der Lottogewinner lud uns alle ein, es wurde ein längeres Besäufnis; ich saß neben Hartwig und murmelte natürlich auch so was in der Art: Sie waren doch als Nationalspieler der erste oder zweite ... äh ... – und der Jimmy sofort in seinem schlagfertigen Hessisch: ,Du konnst ruisch Nescher zu mir saache!’“

Einen Neger spielt er auch jetzt. Einen weißen Neger namens Woyzeck. Jimmy Hartwig ist Georg Büchners geprügelter Woyzeck, dieser erste Proletarier (und proletarische Philosoph) des Welttheaters. Thomas Thieme hat das in Leipzig zum 20. Jubiläum des Mauerfalls inszeniert, und der etwas prätentiös „Büchner/Leipzig/Revolte“ überschriebene Abend sollte so eigentlich gar nicht stattfinden. Es war zunächst an eine Dramatisierung von Erich Loests Roman „Nikolaikirche“ gedacht, auch sollte der Heldenstadt-Dirigent Kurt Masur irgendwie filmisch mitwirken, doch das hat wohl wegen allerlei Differenzen nicht so geklappt (Thieme über Masur: „Dem hat die Geschichte im richtigen Moment den Fuß hingehalten, und er hat ins Tor geschossen“).

In sehr kurzer Zeit ist stattdessen eine Mixtur aus Leipzigfilmchen, einem kurios anrührenden Altmännerchor mit jungsozialistischen Liedern, einigen Stasi-Anspielungen und, im Zentrum, einem fast monologischen Woyzeck-Solo entstanden. Thieme weiß, „ich habe mich da übernommen“, doch „was der Jimmy macht, ist ganz ungewöhnlich“..."

Hartwig: "Ich spiele um mein Leben"  Interview von Lucas Vogelsang / Der Tagesspiegel


Ermöglicht Ihnen das Theater, intensiver zu leben?

Natürlich ist es auch das. Das Theater bedeutet mir heute viel, weil ich den Leuten immer auch etwas von mir zeigen kann und ständig in verschiedene, neue Leben schlüpfen kann. Ich weiß ja nicht mehr, wie lange ich noch zu leben habe.

Bei Ihnen wurde 2007 zum dritten Mal Krebs diagnostiziert.

Ich spiele jeden Tag um mein Leben, weil ich jeden Tag eine Unmenge an Arznei schlucken muss. Ich bin durch die Krankheit körperlich extrem angeschlagen. Die vergangenen Wochen habe ich unter Schmerzen gespielt. Aber ich mache hier nicht schlapp.

Warum tun Sie sich das an?

Weil ich hier eine Verantwortung habe. Ich war immer ein Mensch, der, wenn ihm jemand eine Chance gibt, für denjenigen durchs Feuer geht. Egal, ob das meine Trainer Branko Zebec und Heinz Lucas waren oder jetzt Thomas Thieme. Menschen, die an mich glauben, will ich einfach nicht enttäuschen. Und wenn ich jetzt zusammenbreche, wäre das für alle der GAU. Deshalb schlucke ich meine Tabletten und ziehe das durch.

Haben Sie Angst vor den nächsten Wochen?

Vor jeder Vorstellung frage ich mich, ob ich das körperlich durchhalte. Schon wenn der Vorhang aufgeht und ich die Leute sehe, fange ich innerlich an zu beben. Ich stehe ja von der ersten bis zur letzten Minute auf der Bühne. Für mich ist das eine hohe psychische und physische Belastung. Wenn ich nach einem Drittel des Stücks plötzlich merke, dass mein Körper anfängt zu rebellieren, davor habe ich Angst.

Wie gegenwärtig ist der Tod in Ihrem Leben?

Meinen Ärzten habe ich gesagt, dass sie ruhig sein sollen, weil ich nicht wissen will, wie lange ich noch hab’. Doch als jetzt Rolf Rüssmann gestorben ist, habe ich gemerkt, wie es mir wieder den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Das hat mich innerlich erschüttert. Der Rolf ist ja auch an Krebs gestorben. Und ich habe das jetzt schon dreimal gehabt. Da unten und im Kopf. In diesen Momenten beginnt man natürlich wieder nachzudenken.

Gibt es vor dem Hintergrund der Krankheit Situationen in Büchners Stück, die Sie emotional besonders berühren – etwa in den Szenen, in denen Woyzeck auf den Doktor trifft?

Ja. Besonders diese Figur des Arztes erinnert mich ganz stark an meine Zeit nach der ersten Chemotherapie Anfang der 90er. Da gab es einen Professor, den Namen darf ich heute nicht mehr nennen, der mir knallhart ins Gesicht gesagt hat, was ich eigentlich wolle, ich hätte ja eh nur noch zwei Jahre zu leben.

Was geht da auf der Bühne in Ihnen vor?

Wenn mich der Doktor auf der Bühne anschreit, ob ich meine Erbsen schon genommen hätte, da denke ich mir, das ist doch dasselbe Arschloch wie damals. Ich merke dann, wie ich auf der Bühne sofort Wut entwickeln kann, weil der Woyzeck gequält wird, weil ihm Unrecht widerfährt. Da kommt dann viel von früher hoch.

Wie wirkt sich diese persönliche Betroffenheit auf Ihr Spiel aus?

Ich kann dadurch in diesen Momenten die nötige Spannung und Kraft aufbauen, die ich für diese Szenen brauche, in denen alle auf mich einhämmern.

Unter Ihrem Regisseur Thomas Thieme haben Sie in Weimar bereits Brechts „Baal“ und Shakespeare gespielt. Welche Rolle spielt er in Ihrem Leben?

Eine väterliche. Er ist Freund, Ziehvater und Kritiker in einer Person. Thomas würde mich nie ins Verderben schicken. Wenn er merkt, dass ich etwas nicht kann, dann sagt er mir das und zeigt mir, wo ich noch lernen kann..."





23. Oktober 2000/Spiegel Online
Jimmy Hartwig: "Ich hab's auch gemacht" - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Sport



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Jimmy Hartwig – Wikipedia

Jimmy Hartwig - Munzinger Biographie

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